Umsturz in der Ukraine
Die umstrittene Rolle der Rechten vom Maidan
- Veröffentlicht: 09.03.2014
- 11:45 Uhr
- mre, RTR
In der Ukraine haben rechte Gruppen im Zuge des Umsturzes erheblich an politischem Einfluss gewonnen. Ihre Vertreter besetzen wichtige Ämter in der neuen Regierung in Kiew. Für viele Gegner des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch sind sie Helden der Proteste auf dem Maidan und entschiedene Verfechter der Unabhängigkeit des Landes. Doch nach Auffassung des russischen Präsidenten Wladimir Putin befindet sich die Ukraine seit dem Ende der Ära Janukowitsch in den Händen rechtsextremer, faschistischer Gruppen. Er sieht die Sicherheit der russisch-geprägten Bevölkerung im Osten und auf der Krim gefährdet und behält sich deshalb ein militärisches Eingreifen vor. Und auch im Westen macht sich Unbehagen breit.
Ins Visier sind vor allem zwei Gruppen geraten: Die Swoboda, die fünf hochrangige Posten in der neuen Regierung einnimmt, darunter den des Vize-Ministerpräsidenten. Und Prawji Sector, der Rechte Sektor, dessen Anführer Dmitro Jarosch jetzt stellvertretender Minister für Nationale Sicherheit ist. Beiden Gruppen werden immer wieder Etiketten wie "neofaschistisch" oder "antisemitisch" angehaftet. Abfinden wollen sie sich damit nicht.
Parteien versuchen auf Wikipedia ihr Image zu schönen
Vor einigen Tagen etwa rief der Rechte Sektor in dem Facebook-ähnlichen Online-Netzwerk VKontakte Anhänger dazu auf, entsprechende Beschreibungen in der englischen Version von Wikipedia zu ändern. Am vergangenen Dienstag wurde der Eintrag daraufhin 174 Mal geändert. Unter anderem hieß es auf einmal, es handle sich um eine "Organisation zum Schutz von Demonstranten" und eine "patriotische Jugendorganisation". Seit Einschreiten der Wikipedia-Verwalter ist dort zu lesen, dass dem Rechten Sektor "in einigen großen Zeitungen" rechtsextreme bis neofaschistische Ansichten zugeschrieben würden.
Interviewanfragen der Nachrichtenagentur Reuters lehnte die Gruppe ab. Auch Aktivisten auf der Straße wollten sich nicht äußern. Mehrere Gebäude in der Nähe des Maidan, dem zentralen Schauplatz der Proteste gegen Janukowitsch, werden nach wie vor von Anhängern des Rechten Sektors besetzt gehalten. Sie tragen schwarze Skimasken, kugelsichere Westen und militärische Kleidung, wie während der Proteste, als sie in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei verwickelt waren.
"Die Medien sollten einfach ein Horrorbild schaffen"
Auch Swoboda-Chef Oleh Tjahnibok empfindet seine Partei als falsch dargestellt. Was den Radikalismus von Swoboda angehe, seien die Informationen "nicht wahr", sagt er. "Das kommt von den europäischen und russischen Massenmedien. Die wollten einfach nur ein Horrorbild von Extremisten, Antisemiten und Fremdenhassern schaffen, und haben damit angefangen, über unsere Partei ein paar dumme Dinge zu schreiben."
Swoboda ging aus der 1991 gegründeten "Sozial-Nationalistischen Partei der Ukraine" hervor, deren Symbol einem Hakenkreuz ähnelte. 2004 schloss sich die SNPU mit anderen Gruppen zusammen und wurde in Swoboda umbenannt. Tjahnibok rühmte damals in einer Rede eine Miliz aus dem Zweiten Weltkrieg, die gegen Russen, Deutsche, Juden und "anderen Abschaum" gekämpft habe. Als er für seine Äußerungen öffentliche Kritik erntete, sagte er, er sei nicht antisemitisch, sondern pro-ukrainisch.
Danach setzte seine Partei verstärkt auf Themen wie soziale Ungerechtigkeit und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Ukraine. Bei den Wahlen 2012 erhielt Swoboda fast 10,5 Prozent der Stimmen. Seit dem Einzug ins Parlament arbeite die Partei-Spitze daran, Swoboda in eine etwas moderatere Richtung zu steuern, sagt ein US-Regierungsvertreter. Sie verbietet es aber laut ihrer Website Atheisten, Ex-Kommunisten und Ausländern, Mitglieder zu werden. Sie hat Verbindungen zu anderen rechten Gruppen in Europa, etwa dem Front National in Frankreich.
Experten sind sich uneins, wo genau im rechten Spektrum Swoboda anzusiedeln ist. Per Anders Rudling von der schwedischen Universität Lund etwa bezeichnete sie als "neofaschistische Partei". Der Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski von der Universität im kanadischen Ottawa sagt dagegen, gegenwärtig sei Swoboda am besten als "radikal nationalistische Partei beschrieben, und nicht als faschistisch oder neonazistisch".