Anspannung auf der Krim
"Es ist, als wären sie Roboter"
- Veröffentlicht: 06.03.2014
- 23:45 Uhr
- cwe, RTR
Die Stimmung auf der Krim ist angespannt - und auf gewisse Weise surreal. In der Stadt Kertsch, wo nur eine schmale Meerenge die ukrainische Halbinsel vom russischen Festland trennt, stehen Soldaten beider Seiten miteinander herum und schlagen die Zeit tot. Sie halten gerade mal eine Armeslänge Abstand, ihre Waffen sind entladen. Es scheint so, als habe man sich mit der neuen Lage arrangiert. Es gab keinen Kampf, als die bewaffneten russischen Männer in dieser Woche in den Grenzposten eindrangen.
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"Der erste Schuss würde den Konflikt eskalieren lassen", sagt der ukrainische Hauptmann Sergej Schamschurow. "Daher haben wir beschlossen, den Posten nicht mit Waffengewalt zu verteidigen". Stattdessen bieten die ukrainischen Soldaten ihren ungebetenen Gästen an, die Toiletten des Stützpunkts mitzubenutzen. Die Eindringlinge zeigen jedoch kaum Emotionen. "Es ist, als wären sie Roboter", klagt Schamschurow. "Wenn wir versuchen, mit ihnen zu sprechen, reißen sie nur Witze. Wir haben es aufgegeben."
"Wir haben uns nicht ergeben"
Beide Seiten spielen auf Zeit, seit die russischen Truppen rasch und unblutig vor fast einer Woche die Kontrolle auf der Krim übernommen haben. "Wir machen weiter, was wir immer getan haben, wir hissen auch unsere Fahne - wir haben uns nicht ergeben, wir haben unseren Eid nicht gebrochen", betont Schamschurow. Die Russen erstickten in den vergangenen Tagen zwar vereinzelte Versuche der ukrainischen Soldaten, die Kontrolle zurückzugewinnen, setzten dabei aber bisher keine größere Gewalt ein. Es gab keine Zusammenstöße und keine Toten.
Die neuen Machtverhältnisse machen die Russen dennoch mehr als deutlich. "Wo immer es möglich war, haben sie eine richtige Show abgezogen", berichtet der ukrainische Major Alexej Nikiforow, der stellvertretende Kommandeur des Marine-Bataillons in Kertsch. "Sie sind gekommen und haben die Tür eingetreten, aber bei uns geht das nicht so einfach", sagt der Marine-Offizier. "Sie versuchen, uns zu brechen", murmelt einer seiner Kameraden leise dazu.
Russische Kriegsschiffe blockieren nach Angaben der ukrainischen Behörden die Meerenge von Kertsch. Damit wollen sie die ukrainischen Seeleute isolieren und zur Aufgabe zwingen, mutmaßen die Ukrainer. Die Straße von Kertsch verbindet das Schwarze Meer mit dem Asowschen Meer. Wie ein Keil liegt die Krim auf halber Strecke zwischen Russland und Ukraine vor diesem kleineren Nebenmeer: Im Westen ist die Halbinsel über eine schmale Landzunge mit der Ukraine verbunden, im Osten liegt jenseits der 4,5 Kilometer breiten Straße von Kertsch bereits das russische Festland.
Niemand will einen Krieg
Die Ukraine wirft Russland vor, die Tausenden ohnehin auf der Krim stationierten Truppen um weitere 16.000 Soldaten verstärkt zu haben. Die Ukraine selbst dagegen verfügt über weniger als 20.000 Marine-Soldaten und andere Streitkräfte, die derzeit über die gesamte Halbinsel verteilt auf ihren Stützpunkten gestrandet sind. Trotz ihrer Minderzahl halten die meisten von ihnen der Regierung in Kiew die Treue.
Zugleich wollen sie aber eine offene Auseinandersetzung mit den russischen Streitkräften vermeiden, die seit langem ihre Nachbarn auf der Krim sind. Die Halbinsel ist der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte, und die Väter und Großväter einiger der Männer kämpften bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 noch Seite an Seite in der Roten Armee. Viele ukrainische Soldaten hier haben Verwandte in Russland.
Am Sonntag wechselte der frisch ernannte Kommandeur der ukrainischen Marine öffentlichkeitswirksam die Seiten. Seither berichtete das russische Staatsfernsehen von einer ganzen Reihe weiterer, bisher unbestätigter Desertionen.
Nervenkrieg bis zum Referendum
Die einzigen Schüsse allerdings, die bisher fielen, waren Warnschüsse: Die Russen feuerten sie offenbar ab, als Piloten der ukrainischen Luftwaffe versuchten, zu ihren Flugzeugen auf dem Militärflugplatz Belbek zu gelangen. Die Verhandlungen in Belbek endeten mit der Rückkehr der Piloten in ihre Kasernen. Während die Gespräche andauerten, vertrieben sich einige der Ukrainer die Zeit mit einem Fußballspiel. Die Russen schauten auch hier einfach zu und zeigten keine Emotionen.
Dabei sehen einige ukrainische Soldaten die russischen Truppen durchaus auch als Schutz: Zwar nicht gegen ukrainische Nationalisten, wie es in russischen Medien und offiziellen Verlautbarungen heißt, dafür aber gegen pro-russische Mobs, die Stützpunkte der ukrainischen Soldaten umstellten. "Die Präsenz von Truppen aus unserem Nachbarland ist ärgerlich, aber im Moment stehen sie zwischen uns und unserem Volk, das irgendeine radikale Veränderung verlangt", sagt Major Nikiforow, der seine Worte sehr behutsam wählt. "Die Entscheidungen müssen an der Wahlurne fallen und dürfen nicht mit Schlagstöcken erzwungen werden".
Wie lange die ukrainischen Truppen allerdings noch aushalten werden und wie groß die Geduld der Russen ist, bleibt abzuwarten. Der nächste Kristallisationspunkt ist der 16. März, an dem die Bürger der Krim über einen Anschluss ihres Landes an Russland oder den Verbleib bei der Ukraine abstimmen sollen. Der Nervenkrieg könnte sich also noch eine Woche hinziehen. "Wir hoffen, dass unsere Politiker ihre Ambitionen hintanstellen und uns nicht den Befehl erteilen, aufeinander zu schießen", sagt Nikiforow. "Am Ende sind wir einfach nur Leute, die Befehle befolgen. Heute lächeln wir uns an, aber morgen könnten wir schon aufeinander schießen."