Nach Urteil
Missbrauchsfall Staufen - Experten fordern weitere Konsequenzen
- Veröffentlicht: 08.08.2018
- 10:46 Uhr
- dpa
Eine Mutter vergewaltigt ihr Kind mit ihrem Partner, beteiligt sich jahrelang an schlimmstem Missbrauch. Mit dem Urteil gegen die beiden endet ein Prozess um ein ungeheuerliches Verbrechen. Die Aufarbeitung ist damit aus Sicht von Experten noch lange nicht vorbei.
Nach den Urteilen im Missbrauchsprozess am Landgericht Freiburg fordern Fachleute, weitere Konsequenzen aus dem Fall zu ziehen. "Der Staat muss auch Behördenmitarbeiter besser ausbilden, damit künftig sichergestellt ist, dass unschuldige Kinder perversen Kriminellen nicht ausgeliefert sind - schon gar nicht über einen längeren Zeitraum", sagte die Bundesgeschäftsführerin der Opferhilfsorganisation Weißer Ring, Bianca Biwer, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch).
Außerdem müsse Kindern durch Präventionsarbeit vermittelt werden, dass sie das Recht hätten, Nein zu sagen. "Viele glauben: Was im eigenen Zuhause passiert, soll nicht nach außen dringen. Was in der Familie passiert, geht Außenstehende nichts an. So etwas ist natürlich fatal und kann dramatische Konsequenzen nach sich ziehen."
Kind wurde über Darknet an Männer verkauft
Ein Paar aus dem badischen Staufen hatte einen heute Zehnjährigen mehr als zwei Jahre vielfach vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Die 48 Jahre alte Mutter wurde am Dienstag vor dem Landgericht Freiburg zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt.
Gegen ihren 39 Jahre alten Lebensgefährten - einen einschlägig vorbestraften Mann - verhängten die Richter eine Strafe von zwölf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das Kind war über das Darknet, einem anonymen Bereich des Internets, an Männer aus dem In- und Ausland verkauft worden.
Vorratsdatenspeicherung könnte tausende Kinder retten
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, forderte anlässlich des Falls die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. "Jeden Tag gehen beim Bundeskriminalamt Hinweise auf den sexuellen Missbrauch von Kindern ein", sagte Münch der "Berliner Zeitung". "Darunter sind Bilder und Videos, auf denen Kinder oder sogar Babys schwer missbraucht werden."
Das Material stamme aus dem Internet. Dort werde es zum Teil in versteckten Foren, zum Teil aber auch öffentlich gehandelt und getauscht. In vielen Fällen sei der einzige Hinweis auf den Täter die IP-Adresse seines Computers. "Doch den Ermittlerinnen und Ermittlern sind häufig die Hände gebunden", beklagte der BKA-Präsident. "Grund ist die nicht umgesetzte Vorratsdatenspeicherung: Allein im Jahr 2017 konnten über 8000 Hinweise auf Kinderpornografie nicht weiter ermittelt werden."
"Brutalität und emotionale Gleichgültigkeit"
Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" außerdem, Rollenklischees seien mit dafür verantwortlich, dass Frauen als Sexualstraftäterinnen selbst von Fachleuten nur schwer erkannt würden. Eigenschaften wie "hilfsbereit", "schwach" oder "mütterlich" würden eher Frauen als Männern zugeschrieben. "Solche Stereotype stehen dem klassischen Bild, das Menschen von speziell Sexualstraftätern haben, entgegen."
Kriminologe Christian Pfeiffer sagte dem Blatt, ihm sei "kein Fall bekannt, in dem eine Mutter mit einer derartigen Brutalität und emotionalen Gleichgültigkeit vorgegangen wäre". Der ehemalige Direktor des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sieht dadurch auch Jugendamt und Justiz, die lange Zeit nicht eingegriffen hatten, zum Teil entlastet: "Niemand hat ernsthaft glauben wollen, dass diese Frau ihren Sohn selbst verkauft."