Nächste Runde beim Brexit
- Veröffentlicht: 29.01.2019
- 08:46 Uhr
- dpa
Den EU-Austritt verschieben? Das Abkommen mit der EU nachverhandeln? Bei der Abstimmung über den weiteren Brexit-Kurs soll das Parlament eine Richtung vorgeben. Doch ob das gelingt, ist zweifelhaft.
Das britische Parlament unternimmt am Dienstag einen weiteren Versuch, den Kurs beim EU-Austritt abzustecken. Am Abend (ab 20 Uhr MEZ) wollen die Parlamentarier über mehrere Anträge dazu abstimmen. Das von der konservativen Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen hatte das Unterhaus Mitte Januar mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Zu einer neuen, neutral formulierten Beschlussvorlage der Regierung liegen nun gut ein Dutzend Änderungsanträge vor. Gleich mehrere sehen vor, die umstrittene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland - genannt Backstop - im Austrittsabkommen zu streichen, zu befristen oder mit einem Kündigungsrecht für Großbritannien zu versehen.
Nach Medienberichten stellte sich Premierministerin Theresa May am Montagabend bei einer Sitzung ihrer Fraktion hinter den Vorschlag, den Backstop durch "alternative Regelungen" zu ersetzen. Sie erhoffe sich demnach ein klares Mandat für Nachverhandlungen mit der EU. Hoffnungen, dass die EU ihre Position zum Backstop räumt, darf sich May aber kaum machen.
Brexit ohne Abkommen möglich
Die Opposition arbeitet unterdessen daran, einen Brexit ohne Abkommen abzuwenden. Als aussichtsreich gilt ein Antrag der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper. Sie will die Regierung dazu zwingen, in Brüssel eine Verschiebung des Brexits zu beantragen, sollte bis Ende Februar kein Austrittsabkommen ratifiziert sein.
Auch die Befürworter eines zweiten Brexit-Referendums wollen den Antrag unterstützen. Einem eigenen Vorstoß räumen sie derzeit keine ausreichenden Erfolgschancen ein. Einem anderen Vorschlag zufolge sollen die Abgeordneten in den kommenden Wochen über verschiedene Alternativen zum Brexit-Abkommen abstimmen.
Über welche Änderungsanträge abgestimmt wird, wird erst zu Beginn der Debatte am frühen Nachmittag (ca. 14 Uhr MEZ) bekannt gegeben. Die Entscheidung trifft Parlamentspräsident John Bercow.
Großbritannien soll am 29. März aus der EU ausscheiden. Ohne Abkommen über den Austritt drohen schwere wirtschaftliche Konsequenzen und Chaos in vielen Lebensbereichen.
Die Chefs führender britischer Supermärkte und Restaurantketten hatten am Montag eindringlich vor Lebensmittelknappheiten im Fall eines Brexits ohne Abkommen gewarnt. Sollte Großbritannien ohne Austrittsvertrag aus der EU ausscheiden, werde die Verfügbarkeit vieler Produkte in ihren Läden verringert sein, schrieben unter anderem die Geschäftsführer von Sainsbury, Asda, Lidl und McDonald's UK in einem offenen Brief an das Parlament. Davon sei insbesondere Obst und Gemüse betroffen.
Auch der grenzüberschreitende Datenverkehr wäre bei einem ungeordneten Brexit in Gefahr, warnen führende Vertreter der deutschen Wirtschaft. "Kommt der harte Brexit, ist der Datenverkehr mit einem Land wie Uruguay ab dem 30. März einfacher als mit dem Vereinigten Königreich", sagte der Präsident des IT-Verbands Bitkom, Achim Berg, dem "Handelsblatt" (Dienstag). Deutsche Unternehmen müssten ihre britischen Geschäftspartner oder Dienstleister dann so
behandeln, als säßen sie außerhalb der EU, alles andere wäre ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung DSGVO, "mit den bekannten hohen Bußgeldrisiken".
Barley: Regierung hat sich in eine Sackgasse manövriert
Die Europa-Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die britische Regierung habe sich in eine Sackgasse manövriert. Doch noch lasse sich ein ungeordneter Brexit verhindern. "Ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation könnte sein, die Britinnen und Briten selbst über das ausgehandelte Abkommen abstimmen zu lassen." Die Justizministerin betonte erneut die Position der Bundesregierung, dass es inhaltliche Änderungen an dem ausverhandelten Abkommen nicht geben wird. "Vor allem wollen wir eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindern, um den Frieden in der Region nicht zu gefährden."
Der langjährige EU-Kommissar Günter Verheugen sieht keine Chance mehr, einen chaotischen Brexit abzuwenden. "Das Unheil nimmt seinen Lauf", sagte der SPD-Politiker der "Augsburger Allgemeinen" (Dienstag). Die 27 verbleibenden EU-Staaten würden ihre Position nicht mehr ändern, "weil es die einzige ist, die sie gemeinsam haben können". Auch eine mögliche Verlängerung der Austrittsfrist werde daran nichts ändern. Langfristig werde der politische Schaden durch den Brexit größer sein als der wirtschaftliche. "Der Verlust eines so großen und wichtigen Landes wie Großbritanniens verringert das internationale Gewicht der EU massiv", sagte er. Auch würden radikale Nationalisten den Brexit als Ermutigung sehen. "Sie wollen die EU zerstören", sagte Verheugen.