Rechtsextremimus
Regierung sieht beunruhigende Entwicklung
- Veröffentlicht: 15.09.2019
- 09:43 Uhr
- dpa
Wer geglaubt hat, vor Rechtsterroristen müssten sich vor allem Flüchtlinge fürchten, mag spätestens durch den Lübcke-Mord ins Grübeln gekommen sein. Die Bundesregierung sieht dringenden Handlungsbedarf.
Im Bereich der politischen Gewalt von rechten Tätern scheint sich etwas zusammenzubrauen, was den Sicherheitsbehörden Sorgen macht. Um Extremisten und potenzielle Terroristen aus dem rechten Spektrum frühzeitig erkennen und stoppen zu können, sollen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt zusammen mehr als 500 zusätzliche Stellen erhalten. So sehen es zumindest Pläne vor, an denen derzeit im Bundesinnenministerium gearbeitet wird. Der noch nicht im Haushalt für 2020 eingepreiste Stellenzuwachs bedarf allerdings noch der Zustimmung durch den Bundestag.
Dass die Sicherheitsbehörden die Gefahr von rechts bis zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Anfang Juni unterschätzt hätten, wie einige Oppositionspolitiker sagen, will Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke nicht gelten lassen. Er verweist im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf eine neue Dynamik im Rechtsextremismus: "Gerade in den letzten Monaten beobachten wir in diesem Phänomenbereich Entwicklungen, die beunruhigend sind. Deshalb wollen wir hier jetzt auch schnell handeln."
Es geht nicht nur um mehr Personal
Nach dpa-Informationen geht es nicht nur um mehr Personal. Ähnlich wie bei der Beobachtung von Islamisten will man künftig auch bei den Rechtsextremisten stärker Informationen zu radikalisierten Einzelpersonen zusammentragen - anstatt vor allem auf bekannte Gruppen zu schauen. Für die Einschätzung der Gefährlichkeit einzelner Rechtsextremisten soll eine neue Kategorisierung entwickelt werden. Einfließen würden Risikofaktoren wie: Hat jemand besonderes Interesse an Waffen? War er schon einmal oder gar mehrfach bei Aktionen oder Aufmärschen bekannter rechtsextremer Gruppen dabei? Auch bei der Erkennung von Netzwerken will man neue Wege gehen.
Ein großes Paket mit Gesetzesänderungen müsste für diese Maßnahmen nicht geschnürt werden. Das Meiste wäre auch mit bereits vorhandenen Instrumenten umsetzbar. Allerdings wird im Innenministerium jetzt auch darüber nachgedacht, Social-Media-Plattformen nicht nur zur Löschung von Gewaltaufrufen und extremen Hassbotschaften zu bringen, sondern dazu, diese auch der Polizei zu melden. Außerdem hat der Fall von Stephan E., der als Hauptverdächtiger für den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Untersuchungshaft sitzt, die alte Diskussion neu entfacht, wann Extremisten ein Recht auf Vergessenwerden haben. Sprich: Sollten Daten von Menschen mit Neonazi-Vergangenheit bei den Sicherheitsbehörden länger aufbewahrt werden, auch wenn sich jemand über viele Jahre unauffällig verhält?
40 Menschen gelten als sogenannte Gefährder
"Generell gilt: Hinsichtlich eines Rechtsänderungsbedarfs sind wir zurückhaltend, denken jedoch zum Beispiel über die Verlängerung von Löschfristen und mögliche Ausleitungsverpflichtungen von Betreibern sozialer Netzwerke für klar strafbare Inhalte bei Offizialdelikten nach", sagt Innen-Staatssekretär Engelke. Mit Blick auf die ohnehin geplante Novelle des Verfassungsschutzgesetzes ergänzt er: "Die Befugnisse zur Online-Durchsuchung und zur Überwachung von Kommunikation per Messenger in besonders gravierenden Fällen, die wir auch für die Bekämpfung des Islamismus benötigen, brauchen wir natürlich auch hier."
Die Polizei stuft im rechten Spektrum bundesweit rund 40 Menschen als sogenannte Gefährder ein, hinzu kommen etwa 110 "relevante Personen". Zum Vergleich: Ende 2016 gab es 22 Gefährder. Als Gefährder bezeichnet man im Bereich der politisch motivierten Kriminalität Menschen, denen man schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutraut. Die Zahl der islamistischen Gefährder war zuletzt leicht zurückgegangen und liegt jetzt knapp unter 700. Allerdings steht demnächst bei etlichen verurteilten Islamisten die Haftentlassung an, was die Beamten, die sie im Blick behalten müssen, vor weitere Herausforderungen stellt.