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Ländervergleich

In Deutschland wirklich besser? So werden Migranten in Europa versorgt

  • Veröffentlicht: 05.10.2023
  • 13:09 Uhr
  • Joachim Vonderthann

Mit umstrittenen Aussagen über abgelehnte Asylbewerber:innen hat CDU-Chef Merz eine Debatte über deren Versorgung ausgelöst. Doch ist die hierzulande wirklich so gut?

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Das Wichtigste in Kürze

  • Für CDU-Chef Merz sind die guten Sozialleistungen ein Grund, dass so viele Geflüchtete nach Deutschland kommen.

  • Eine Untersuchung zeigt, dass die Versorgung für Migrant:innen in Europa deutlich auseinander geht.

  • Der europaweite Vergleich bleibt aufgrund unterschiedlicher Faktoren aber schwierig.

Für CDU-Chef Friedrich Merz ist klar: Die hohe Zahl von Geflüchteten in Deutschland hängt vor allem mit den hohen Sozialleistungen hierzulande im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zusammen. Merz' umstrittener Satz über angelehnte Asylbewerber:innen, die sich in Deutschland "die Zähne neu machen lassen", hat die Debatte über die Versorgung von Migrant:innen neu entfacht.

Werden Flüchtlinge in Deutschland besser versorgt?

Doch sind die deutschen Sozialleistungen wirklich so gut? Ein exakter Vergleich ist aufgrund unterschiedlicher Faktoren ist schwierig, dennoch liefern Untersuchungen aufschlussreiche Hintergründe und Daten.

Im EU-Vergleich sind in Deutschland im ersten Halbjahr mit Abstand die meisten Asylanträge gestellt worden. Es waren nach Daten der Europäischen Asyl-Agentur 30 Prozent aller Anträge - und damit fast doppelt so viel wie in den nächst platzierten großen EU-Staaten Spanien (17 Prozent) und Frankreich (16 Prozent). Erst dahinter rangieren Österreich und Italien. Und auch im Verhältnis zur Bevölkerung liegt Deutschland vor Italien, Frankreich und Spanien: So wurden von Januar bis Juni die meisten Asylanträge pro tausend Einwohner in folgenden Ländern gestellt: Zypern (4,5), Österreich (2,5), Estland (2), Deutschland (1,9), Luxemburg (1,8).

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Die weitaus meisten Asylanträge werden in Deutschland gestellt

Die Zahl der Asylbewerber:innen hierzulande ist stark gestiegen. Von Januar bis August stellten mehr als 204.000 Menschen erstmals einen Antrag - 77 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Hinzu kommen inzwischen mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die keinen Asylantrag stellen müssen.

Welche Sozialleistungen bekommen geflüchtete Menschen im EU-weiten Vergleich wirklich?
Welche Sozialleistungen bekommen geflüchtete Menschen im EU-weiten Vergleich wirklich?© Paul Zinken/dpa

Die Sozialleistungen für Asylbewerber:innen in Europa klaffen deutlich auseinander, wie eine Untersuchung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von März zeigt. So können Drittstaatler:innen in laufenden Asylverfahren in Österreich und Deutschland mehr als 400 Euro pro Monat erhalten. In Großbritannien gibt es demnach umgerechnet etwa 210 Euro, in Schweden 180, in Griechenland 150 und in Ungarn nur 60 Euro.

Zu bedenken ist dabei, dass sich Kaufkraft, Durchschnittseinkommen und Lebenshaltungskosten von Land zu Land stark unterscheiden. So ist etwa der in Deutschland verdiente Euro in Bulgarien doppelt so viel wert. Und in Dänemark ist der Bruttomonatsverdienst doppelt so hoch wie in Spanien. Auch in dem Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags heißt es daher einschränkend, es sei "schwierig, international vergleichbare Daten zu erheben und zu interpretieren".

So viel bekommen Asylbewerber:innen in Griechenland

In GRIECHENLAND erhalten Asylbewerber:innen monatlich 150 Euro. Die Menschen leben dann entweder in Auffanglagern oder ihre Wohn- und Heizkosten werden übernommen. Außerdem haben sie Anspruch auf medizinische Versorgung. Schwangere und Menschen mit Behinderungen werden zusätzlich finanziell unterstützt. Zum Vergleich: Griechen und EU-Bürger, die in Griechenland leben und Anspruch auf Sozialhilfe haben, erhalten 200 Euro im Monat.

Werden Asylgesuche abgelehnt, müssen die Antragsteller:innen theoretisch bis zu ihrer Abschiebung in Auffanglagern bleiben. Dort gibt es auch Anspruch auf ärztliche Versorgung. Praktisch aber ist die Unterbringung kaum möglich. Daher leben viele abgelehnte Asylsuchende ohne Papiere, Arbeitsgenehmigung oder staatliche Unterstützung in Griechenland. Anspruch auf medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung haben sie in diesem Fall nicht - außer, wenn ihr Leben bedroht ist.

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Der Vergleich zu Zahlungen an Asylsuchende in anderen Ländern bleibt schwierig: So liegt zum Beispiel der durchschnittliche Bruttolohn in Griechenland bei rund 1.200 Euro, in Deutschland waren es laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2021 rund 4.100 Euro.

In Ungarn nur 46 Asylanträge in einem Jahr

In UNGARN gibt es wegen der restriktiven Flüchtlingspolitik quasi keine Asylbewerber:innen. Asyl kann nur bei den ungarischen Botschaften in Kiew und Belgrad beantragt werden. Nach Angaben des Statistikamts gab es 2022 insgesamt 46 Asylanträge, von denen 10 akzeptiert wurden. 20 Menschen haben eine Art Duldung mit Recht auf Arbeit bekommen.

Nicht in der Statistik tauchen die Tausenden Flüchtlinge aus der Ukraine auf, weil sie in der Regel keinen Asylantrag stellen. Die meisten sind auch nur durchgereist. Speziell für Ukraine-Flüchtlinge gibt es eine Ausnahmeverordnung. Viele dieser Flüchtlinge sind ethnische Ungarn aus der Grenzregion, manche Doppel-Staatsbürger. Sie haben ein Recht auf kostenlose ärztliche Versorgung, dürfen gratis öffentliche Verkehrsmittel benutzen und bekommen eine Beihilfe. Hierbei liegt der minimale Satz für einen kinderlosen Flüchtling bei 22.800 Forint (58,4 Euro) pro Monat. Das ist etwas weniger als der minimale Sozialhilfesatz in Ungarn. Diese Beihilfe kann gestrichen werden, wenn der Flüchtling ihm angebotene Jobs ablehnt. Zusätzlich gibt es Beihilfen für Familien mit Kindern, je nach Zahl und Gesundheitszustand. Maximal sind das 25.900 Forint (66,3 Euro) zusätzlich - die bekommt ein(e) Alleinerziehende(r) mit einem chronisch kranken Kind.

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Spanien zahlt am Anfang weniger

In SPANIEN erhalten erwachsene Asylbewerber:innen, die während der ersten sechsmonatigen Phase in Gemeinschaftsunterkünften mit Verpflegung untergebracht sind, ein Taschengeld von 51,60 Euro pro Monat. Eltern bekommen darüber hinaus monatlich 19,06 Euro für jedes minderjährige Kind. Erstattet werden zudem gegen Quittung unter anderem Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr, für Übersetzungsgebühren, Sprachkurse und so weiter. Asylbewerber:innen dürfen außerdem in der Sammelunterkunft einem Job nachgehen und damit bis zu 185 Euro pro Monat dazuverdienen.

In der zweiten Phase, die ebenfalls in der Regel sechs Monate dauert, leben die Asylbewerber:innen im Prinzip alle in Privatunterkünften. Sie bekommen dann einen Zuschuss für die Lebenshaltung in Höhe von 347,60 Euro (für eine Person, und bis zu knapp 800 Euro für einen mindestens fünfköpfigen Haushalt) sowie eine Mietbeihilfe zwischen 376 (für eine Person) und 717 Euro (für Familien mit fünf und mehr Mitgliedern).

In der dritten Phase können Asylbewerber:innen arbeiten und bekommen nur noch in eher seltenen Härtefällen finanzielle Unterstützung vom Staat. Ausländer:innen mit Wohnsitz in Spanien haben aber das Recht, unter den gleichen Bedingungen wie die Spanier Leistungen und Dienste der sozialen Sicherheit in Anspruch zu nehmen. Das Gesundheitssystem steht Flüchtlingen, Asylbewerber:innen oder auch nicht ansässigen Ausländer:innen unabhängig von ihrem rechtlichen Status zur Verfügung.

410 Euro für Flüchtlinge in Deutschland

In DEUTSCHLAND haben Asylbewerber:innen und unter anderem Menschen mit einer befristeten Duldung Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Die Sätze liegen dabei zwischen 278 Euro für Kinder bis 5 Jahren und 410 Euro für erwachsene Alleinstehende oder Alleinerziehende. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Arbeiten dürfen Asylsuchende in der Regel nach neun Monaten, wenn sie minderjährige Kinder haben, schon nach sechs Monaten.

Ein neunjähriger Junge aus Syrien mit Deutschland-Trikot geht im Ankunftszentrum am ehemaligen Berliner Flughafen Tegel durch einen Gang.
Ein neunjähriger Junge aus Syrien mit Deutschland-Trikot geht im Ankunftszentrum am ehemaligen Berliner Flughafen Tegel durch einen Gang.© Sebastian Gollnow/dpa

Während der ersten 18 Monate ihres Aufenthalts haben Asylbewerber:innen nur eingeschränkt Anspruch auf medizinische Versorgung. Sie können bei akuter Erkrankung und bei Schmerzen zum Arzt gehen. Zahnersatz gibt es nur, wenn dieser im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Nach 18 Monaten werden Asylbewerber:innen und Geduldete von einer gesetzlichen Krankenkasse betreut und erhalten ähnliche Leistungen wie gesetzlich Versicherte.

Wer ausreisepflichtig ist, also zum Beispiel, weil sein Asylantrag abgelehnt wurde, bekommt nur noch eingeschränkte Leistungen. Bis zu Ausreise oder Abschiebung sollen er oder sie normalerweise nur noch Unterkunft und Nahrung sowie Leistungen zur Gesundheits- und Körperpflege erhalten.

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Frankreich zahlt weniger Sozialhilfe

In FRANKREICH haben Asylbewerber:innen Anspruch auf eine Unterbringung in einer Flüchtlingsunterkunft oder einem vergleichbaren Quartier. Asylbewerber:innen erhalten für die Dauer des Asylverfahrens eine Finanzhilfe, diese beträgt für eine Einzelperson 210,80 Euro pro Monat, eine vierköpfige Familie erhält 527 Euro. Ab sechs Monate nach der Ankunft in Frankreich dürfen Asylbewerber auch eine Arbeit annehmen. Bei ihrer Ankunft haben Asylbewerber:innen zunächst Anspruch auf medizinische Notversorgung, nach drei Monaten Aufenthalt dann auf eine reguläre Versorgung durch das Gesundheitssystem.

Asylbewerber:innen, deren Antrag in Frankreich abgelehnt wird, müssen ihre Unterkunft binnen eines Monats verlassen. Sie erhalten außerdem ab dann keine Finanzhilfe mehr. Der Anspruch auf Gesundheitsversorgung kann unter bestimmten Voraussetzungen um sechs Monate verlängert werden. Davon unabhängig können abgelehnte Asylbewerber:innen, die sich mindestens drei Monate in Frankreich aufgehalten haben, eine Karte zur Übernahme der Gesundheitskosten beantragen, die jährlich verlängerbar ist. Voraussetzung ist, dass sie nur über geringe Einkünfte verfügen.

Nur Grundversorgung in Österreich

In ÖSTERREICH leben nach Angaben des Innenministeriums aktuell 17.500 Asylbewerber:innen in Unterkünften des Bundes oder Länder. Für diese Gruppe umfasst die sogenannte Grundversorgung die Unterkunft, drei Mahlzeiten am Tag sowie 40 Euro Taschengeld pro Monat. Außerdem sind die Menschen krankenversichert und es steht ihnen Kleidung im Wert von 150 Euro pro Jahr zu. Manche Bundesländer erlauben den Geflüchteten, sich ein privates Quartier zu suchen. In diesen Fällen wird für Erwachsene ein Mietzuschuss von 165 Euro pro Monat und Person gezahlt. Der Zuschuss für Verpflegung beträgt 260 Euro pro Person und Monat.

Laut Innenministerium leben aktuell in Österreich rund 2.500 Asylbewerber:innen in privaten Unterkünften. Die beschriebene Unterstützung erhalten auch alle abgelehnten Asylbewerber:innen bis zum Zeitpunkt ihrer Ausreise. "Die Grundversorgung deckt nur elementare Grundbedürfnisse ab, um unter anderem prekären Lebenssituationen und Obdachlosigkeit vorzubeugen und unterscheidet sich daher grundlegend von Sozialleistungen", so das Ministerium.

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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