Faeser spricht von terroristischer bedrohung
Reichsbürger planten Umsturz - Auch Ex-Offizier festgenommen
- Aktualisiert: 07.12.2022
- 11:03 Uhr
- Joachim Vonderthann
Sie planten einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland und waren im Besitz von Waffen: Bei einer Großrazzia gegen die Reichsbürgerszene hat die Polizei 25 Menschen festgenommen. Einige Mitglieder der Terrorgruppe sollen aktive Bundeswehr-Soldaten sein.
Das Wichtigste in Kürze
Die Polizei geht in einer Großrazzia gegen die Reichsbürgerszene in Deutschland vor.
25 mutmaßliche Mitglieder einer Terrorgruppe werden festgenommen. Darunter ein Ex-Offizier.
Sie planten den gewaltsamen Umsturz im Land und trainierten an Waffen.
Bei einer Großrazzia gegen die Reichsbürgerszene hat die Bundesanwaltschaft 25 Menschen festnehmen lassen. Rund 3.000 Polizeibeamte rückten am Mittwochmorgen (07. Dezember) in elf Bundesländern aus, um gegen die terroristische Vereinigung vorzugehen. Diese habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Für ihre Pläne hätte die Gruppierung auch Tote in Kauf genommen.
Reichsbürger planten Umsturz
Laut der Ermittlungsbehörde sollen 22 der Festgenommenen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.
"Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung", sagte die Sprecherin. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines "tiefen Staats", regiert werde, hieß es in einer Mitteilung. Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in Berlin, die Umsturzpläne der Gruppierung ließen in den "Abgrund einer terroristischen Bedrohung" blicken. Deren Initiatoren seien "von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben." Faser betonte: "Militante Reichsbürger verbindet der Hass auf die Demokratie, auf unseren Staat und auf Menschen, die für unser Gemeinwesen einstehen."
Soldaten unter Mitgliedern der Terrorgruppe
Laut Bundesanwaltschaft soll die Gruppierung spätestens Ende November 2021 gegründet worden sein. Zentrales Gremium sei ein "Rat". Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. "Die Mitglieder des "Rates" haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verbogenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen", teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Ein "militärischer Arm" sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen "beseitigen", hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. "Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten "Systemwechsels auf allen Ebenen" zumindest billigend in Kauf." Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.
Tote wären in Kauf genommen worden
Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des "militärischen Arms" hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, "um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren".
Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg) durchsucht.
Buschmann: "Anti-Terror-Einsatz"
Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen, wie die Sprecherin sagte.
Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die bundesweite Razzia als "Anti-Terror-Einsatz". "Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt", schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter.
Spur zur geplanten Lauterbach-Entführung
Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe "Vereinte Patrioten" sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.
"Reichsbürger" sind Menschen die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21 000 Anhänger zu.
Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1.150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene "Reichsbürger und Selbstverwalter" 1011 extremistische Straftaten zu.
Ex-Offizier unter Festgenommenen
Ein weiterer Festgenommener stammt aus Bundeswehr-Kreisen. Bei einem Deutschen, der im Zuge der Anti-Terror-Aktion in der Nähe von Perugia in Italien festgenommen wurde, handelt es sich nach Angaben der italienischen Polizei um einen ehemaligen Offizier einer Bundeswehr-Spezialeinheit. Der 64-Jährige wurde demnach in einem Hotel in Ponte San Giovanni südöstlich der Stadt festgenommen. Derzeit liefen die Verfahren zur Auslieferung des Mannes, erklärte die Polizei am Mittwoch (07.12.2022).
Zuvor hätten sich die Behörden mit den Ermittlern in Deutschland ausgetauscht, berichtete die italienische Polizei. Den Einsatz geleitet hatte die Einheit für Terrorismus- und Extremismusbekämpfung. Nachdem sie über den Aufenthalt des Mannes informiert worden seien, hätten sie ihn mehrere Tage lang observiert. Mit Ausstellung des europäischen Haftbefehls durch die deutschen Behörden wurde der Mann dann in der Nacht zu Mittwoch verhaftet.
Im Hotelzimmer des Festgenommenen beschlagnahmten die Beamten den Angaben zufolge "diverses Material, das rückführbar auf die staatsfeindlichen Umtriebe der terroristischen Organisation ist".
19 mutmaßliche "Reichsbürger" in U-Haft
Nach der Großrazzia in der Reichsbürgerszene sind nun 19 der 25 am Mittwoch festgenommenen Verdächtigen in Untersuchungshaft. In den 19 Fällen hätten Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof die Haftbefehle in Vollzug gesetzt, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Abend mit. Damit seien die Vorführungen für Mittwoch abgeschlossen. Planmäßig sollen auch an diesem Donnerstag noch Verdächtige den Richtern vorgeführt werden.
Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich insgesamt 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Drei weitere Festgenommene gelten den Angaben zufolge als Unterstützer.
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