Winteroffensive gescheitert
Ukraine-Krieg: Alkoholmissbrauch könnte ein Grund für Russlands hohe Verluste sein
- Aktualisiert: 03.04.2023
- 08:10 Uhr
- Benedikt Rammer
Westliche Expert:innen halten Russlands Winteroffensive in der Ostukraine für gescheitert. Ein möglicher Grund dafür: Alkoholmissbrauch der russischen Streitkräfte.
Das Wichtigste in Kürze
Russland hat seine Ziele im Krieg in der Ukraine in diesem Winter laut Expert:innen nicht erreicht.
Putins Streitkräfte mussten schon hohe Verluste hinnehmen.
Einem Geheimdienstbericht zufolge könnte aber auch das Trinkverhalten der Truppe mit ein Grund dafür sein.
Russlands Pläne für eine Winteroffensive in der Ostukraine sind nach Einschätzung westlicher Militär-Expert:innen gescheitert. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington schrieb, dass Moskau seine angestrebten Ziele einer vollständigen Einnahme der Gebiete Donezk und Luhansk nicht erreicht habe. Auch das britische Verteidigungsministerium sprach am Wochenende unter Berufung auf Erkenntnisse des Geheimdienstes von einem Scheitern der Offensive in der Donbass-Region. Während der Krieg weiter tobte, äußerten sich ukrainische Vertreter verärgert über einen Aufruf hochrangiger SPD-Politiker und Gewerkschafter in Deutschland.
Im Video: Ukrainischer Botschafter: Friedensappell ist "purer Zynismus"
Ukrainischer Botschafter Makeiev: Friedensappell ist "purer Zynismus"
Bachmut weiter Schwerpunkt der Kämpfe in der Ostukraine
Die ISW-Expert:innen erwarten, dass Russland seine Kommandostrukturen bald umbauen wird. Dem Institut zufolge galt der 31. März als Zieldatum, den kompletten Donbass einzunehmen. Die Truppen scheiterten aus Sicht der Analysten wegen fehlender Kampfkraft. Im Gebiet Donezk konzentrierten sich die seit Monaten dauernden Kämpfe weiter auf die strategisch wichtige Stadt Bachmut. Ein Ende dieser bisher blutigsten Schlacht des Krieges ist nicht in Sicht.
Welche Rolle spielt der Alkohol?
Für die hohen Verluste auf russischer Seite könnte britischen Geheimdienstinformationen zufolge auch Alkohol ein Grund sein. Russland habe seit Kriegsbeginn durch Verletzungen oder Tod bis zu 200 000 Soldaten verloren, schrieb das Verteidigungsministerium am Sonntag. Eine große Zahl davon sei auf andere Ursachen als die eigentlichen Kampfhandlungen zurückzuführen. "Russische Kommandeure betrachten den verbreiteten Alkoholmissbrauch wohl als besonders abträglich für die Effektivität der Kampfhandlungen", hieß es. Ein russischer Telegram-Nachrichtenkanal berichtete demnach, dass es eine "extrem hohe" Anzahl an Vorfällen, Straftaten und Todesfällen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum unter den Streitkräften gibt.
Tote in der Ostukraine nach russischem Beschuss
In der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka kamen unterdessen nach Angaben des Präsidentenamtes in Kiew durch russischen Beschuss mindestens sechs Menschen ums Leben, acht erlitten Verletzungen. Die Raketen hätten 16 Wohnblöcke und 8 Privathäuser, das Gebäude der Steuerbehörde, Gasleitungen und mehrere Autos getroffen. Nach UN-Angaben sind seit Kriegsbeginn mehr als 8000 Todesfälle durch die Angriffe und mehr als 13 000 Verletzte unter Zivilisten registriert worden. Die Zahl der Toten dürfte deutlich höher sein, weil nicht alle Fälle erfasst werden.
"Wütende Patrioten" kritisieren Moskau
Aus Sicht russischer Militärblogger müssten Moskaus Streitkräfte Bachmut und Awdijiwka einnehmen, um auf die im April erwartete Frühjahrsoffensive der ukrainischen Streitkräfte vorbereitet zu sein. Die Blogger kritisierten die Militärführung in Moskau zuletzt wieder schärfer. Der neu gegründete nationalistische "Klub wütender Patrioten" in Russland kritisierte in einem Video die korrupte Militärführung und die Elite des Landes. "Ich habe keine Angst zu sagen, dass wir uns auf eine militärische Niederlage zubewegen", sagte der frühere russische Geheimdienstoffizier Igor Girkin darin. "Wir sind in einen langwierigen Krieg geraten, auf den unsere Wirtschaft völlig unvorbereitet war."
Kiew will Krim mit Zwölf-Punkte-Plan befreien
In Kiew legte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine, Olexij Danilow, einen Zwölf-Punkte-Plan zur "Befreiung" der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim vor. Als Teil der "De-Okkupation" solle die Krim-Brücke mit der Auto- und Eisenbahnverbindung zum russischen Kernland abgerissen werden, teilte er mit. Staatsdiener auf der Krim, die sich 2014 bei der Annexion mit den russischen Besatzern eingelassen hätten, würden einer Säuberung unterzogen nach dem Vorbild der Entnazifizierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, meinte Danilow.
Selenskyj will Reform des UN-Sicherheitsrats
Die turnusmäßige Übernahme des Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat durch Russland stieß unterdessen in Kiew auf scharfe Kritik. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einer "absurden und destruktiven" Konstellation und forderte eine Reform des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen. Neben Russland sind auch die USA, Großbritannien, Frankreich und China Ratsmitglieder mit Veto-Recht.
Friedensappell verärgert ukrainische Vertreter
In Deutschland sorgte eine Initiative für Ärger mit Vertretern der Ukraine. Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev reagierte mit scharfer Kritik auf einen Aufruf ehemaliger hochrangiger SPD-Politiker und Gewerkschafter zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. "Dieser Friedensappell ist kein Aprilscherz. Das ist ein purer Zynismus gegenüber den zahlreichen Opfern der russischen Aggression", sagte Makeiev der dpa.
Der Aufruf "Frieden schaffen! Waffenstillstand und Gemeinsame Sicherheit jetzt!" wurde am Samstag in der "Berliner Zeitung" veröffentlicht. Er fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), zusammen mit Frankreich die Länder Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen. Initiiert wurde er von dem Historiker Peter Brandt, einem Sohn des ehemaligen Kanzlers Willy Brandt (SPD), dem früheren DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann und dem Ex-Bundestagsabgeordneten Michael Müller (SPD).
Polen für Beteiligung nuklearer Abschreckung bereit
Polen kann sich eine stärkere Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato vorstellen - auch ohne Atomwaffen auf dem eigenen Staatsgebiet zu stationieren. "Polen wäre potenziell bereit, seine Beteiligung und Zusammenarbeit im Rahmen der nuklearen Abschreckung der Nato auszuweiten und Verantwortung zu übernehmen", sagte der Sicherheitsberater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, Jacek Siewiera, der dpa. "Die Stationierung von Atomwaffen ist aber etwas anderes", ergänzte er. Putin kündigte unlängst an, Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen - ein Nachbarland Polens.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa