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Zehntausende auf den Straßen

Expertin erklärt: Trotz Merz' kalter Schulter - Darum sind die Brandmauer-Demos erfolgreich

  • Veröffentlicht: 20.02.2025
  • 14:58 Uhr
  • Christopher Schmitt
Wut auf Friedrich Merz: Rund 300.000 Menschen fanden den Weg auf die Theresienwiese zu den Brandmauer-Protesten.
Wut auf Friedrich Merz: Rund 300.000 Menschen fanden den Weg auf die Theresienwiese zu den Brandmauer-Protesten.© IMAGO/ZUMA Press Wire

Hunderttausende gingen in den letzten Wochen für die Brandmauer auf die Straße. Friedrich Merz (CDU) will sich davon nicht vom Kurs abbringen lassen. Eine Protestforscherin erklärt, warum die Demos dennoch Früchte tragen – und wer gegen rechts auf die Straße geht.

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Inhalt

Rund 200.000 Menschen in Berlin vor dem Reichstagsgebäude, sogar rund 300.000 auf der Münchner Theresienwiese. Seit der gemeinsamen Abstimmung der Union mit der AfD im Bundestag halten die sogenannten Brandmauer-Proteste und die Kritik an Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) an. Zehntausende gehen im Vorfeld der Bundestagswahl in Stadt und Land auf die Straße, auch für das Wochenende der Bundestagswahl sind wieder zahlreiche Demonstrationen angekündigt.

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Wie Protestforscherin Dr. Lisa Bogerts im Interview mit :newstime erklärt, gehe es diesen Menschen um ihr Selbstverständnis: Wenn im Parlament die Brandmauer eingerissen wird, müsse sie aus Sicht der Demonstrant:innen "aus der Zivilgesellschaft mehr getragen werden". Sie wollten ein Zeichen setzen, dass in einer Demokratie die Bevölkerung mitbestimmt.

Merz gibt sich unbeeindruckt, aber muss sich äußern

Friedrich Merz gab sich von den Protesten unbeeindruckt, inzwischen hat er eine Kehrtwende in der Haltung zur AfD eingeräumt. "Man muss, wenn man sich an solchen Demos beteiligen will, auch ein hohes Frustrationslevel haben und auch eine gewisse Toleranz dafür, dass die Forderungen nicht gleich die erhoffte Wirkung erzielen", so Bogerts.

Die Forscherin ist unter anderem für das Institut für Protest- und Bewegungsforschung tätig und hat sich in einer Studie intensiv mit den Demos gegen rechts des vergangenen Jahres auseinandergesetzt. Die aktuellen Brandmauer-Proteste sind aus ihrer Sicht erfolgreich.

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Für die Menschen sei es natürlich wichtig, einen gewissen Effekt ihrer Aktionen zu sehen. "Und das passiert selten direkt durch politische Veränderungen und selten direkt durch einen Einfluss auf die Wahlprognosen oder die Wahlergebnisse." Tatsächlich präsentierte sich die Union auch nach der Abstimmung recht stabil in den Umfragen.

Jedoch werde politische und mediale Aufmerksamkeit erzeugt, und allein, dass Friedrich Merz sich äußern musste zu den Protesten, ist laut Bogerts als Erfolg zu werten. "Hier werden politische Entscheidungsträger:innen unter Druck gesetzt, sich zu einem politischen Problem zu verhalten." Gerade vor Wahlen sei dies mit Blick auf Mehrheitsverhältnisse besonders wichtig.

Ein Ergebnis ihrer Studie sei zudem, "dass die Demo-Teilnehmer gar nicht erwarten, politisch Andersdenkende umzustimmen, sondern es vielmehr darum geht, Menschen zum Wählen zu mobilisieren und auch Sichtbarkeit für ein Thema zu erzeugen".

Zwischen Event-Demo und Wir-Gefühl

Doch sind solche Massenproteste nicht mehr Event als Ausdruck politischer Unzufriedenheit? Bogerts ordnet ein: Demos dieser Größenordnung seien "natürlich eine Art politisches Großevent". Alleine, weil für die Logistik eine entsprechende Organisation im Vorfeld benötigt werde. Gerade Straßen-Demos unterschieden sich diesbezüglich von anderen Protestformen, wie beispielsweise Onlineaktivismus, weil sie es ermöglichten, auch physisch mit Gleich- oder Ähnlichgesinnten zusammenzukommen. Die Demonstrierenden könnten "tatsächlich hautnah erleben [...], wie es ist, Teil einer so großen Masse und einer so großen Bewegung zu sein".

Dies könne das "Wir-Gefühl stärken und auch die emotionale Identifikation mit einem Thema, wie in dem Fall der Migration, aber auch mit der Demokratie allgemein". Auch Spaß, die Begeisterung für das Engagement, ist also ein bedeutender Faktor. "Und sowas passiert in einer Menschenmasse, mit Musik, mit Rufen, mit humorvollen Plakaten, mit Reden etc. natürlich deutlich besser, als wenn man alleine zu Hause vor dem Rechner sitzt und eine Petition anklickt."

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"Deutlicher Politisierungseffekt" erkennbar

Auch bei solchen politischen Großevents könne man, so Lisa Bogerts, jetzt schon von einem "deutlichen Politisierungseffekt" sprechen. In einer Studie zu den Demonstrierenden des vergangenen Sommers habe man herausgefunden, dass der Großteil der Befragten sich jetzt schon stärker im Alltag politisch engagiere. "Einerseits natürlich in Initiativen, andererseits auch insofern, als sie sagen, sich deutlich häufiger in politischen Diskussionen im Alltag einzumischen und auch häufiger einzuschreiten, wenn sie Diskriminierungen, zum Beispiel rassistische Diskriminierung im Alltag beobachten." Hier sei bereits eine deutliche Wirkung auf die Zivilcourage sichtbar.

Lisa Bogerts teilt die Proteste gegen rechts der jüngeren Vergangenheit in Wellen ein: "Von der ersten Welle sprechen wir bei den großen Protesten am Jahresbeginn 2024, also von Januar bis April." Damals seien im Nachgang der Enthüllungen der Correctiv-Recherchen über das Geheimtreffen in Potsdam vier Millionen Menschen im Rahmen von über 1.000 Veranstaltungen auf der Straße gewesen.

Die zweite Welle, im Sommer 2024, vor den Europa- und Kommunalwahlen sowie vor den Landtagswahlen in einigen ostdeutschen Bundesländern, habe deutschlandweit noch rund 200.000 Menschen mobilisieren können. Im Vorfeld der Bundestagswahl, also seit Januar, seien wieder über eine Million Teilnehmende auf den Straßen gewesen.

Im Zuge der Pro-Demokratie-Proteste habe sich gezeigt, dass bei den Wellen zwei und drei schon deutlich mehr Menschen erneut protestieren waren, als bei der ersten Protestwelle. Für viele Menschen seien dies die ersten Demoerfahrungen ihres Lebens gewesen.

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Fokus auf die ganz großen Themen

Diese Demonstrationen bemühen laut Bogerts ein sehr breites Framing ihrer Forderungen. So setzen die Proteste bewusst auf die ganz großen Themen: für die Demokratie, gegen den Rechtsextremismus. Hier schließt man laut Bogerts auch an die historische Verantwortung Deutschlands an, repräsentiert durch Slogans wie "Nie wieder ist jetzt". "Insofern gibt es hier schon eine historische Tradition, an die auch das Framing und die Mobilisierung anschließt und dadurch wahrscheinlich auch große Bevölkerungsteile erreicht", schlussfolgert Bogerts im Gespräch mit :newstime.

Slogans und Schlagworte wie die Brandmauer seien generell von großer Bedeutung, weil sie eine Rahmung vorgeben, die in diesem Fall bewusst breit gehalten werde, erklärt die Expertin. Weder die Proteste im vergangenen Jahr noch die aktuellen Brandmauer-Proteste stellten etwa konkrete Forderungen nach einem AfD-Verbot. Es könnten sich nun mal mehr Menschen darauf einigen, die Demokratie zu stärken und Rechtsextremismus zu verurteilen, als darauf, dass ein AfD-Verbot das Gebot der Stunde ist, um diese Ziele zu verfolgen.

Forscherin: "Wenige bezeichnen sich als radikal links"

Mit Blick auf die im vergangenen Jahr erhobenen Daten ihrer Studie protestiert auf den prodemokratischen Demos laut Bogerts in großen Teilen "die mittlere Mittelschicht, teilweise auch die obere Mittelschicht". Die Leute hätten einen eher höheren Bildungsabschluss und verorteten sich selbst eher in der Mitte beziehungsweise links von der Mitte. "Es gibt wenig Menschen dort, die sich wirklich als linksextrem oder besonders radikal links bezeichnen", ordnet Bogerts ein. Frauen seien leicht in der Mehrzahl, was bei vielen eher progressiven Protesten der Fall sei. Unter anderem auch bei den Klimaprotesten, die in den vergangenen Jahren darauf hingewirkt haben, wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit für Proteste zu generieren.

Um die Proteste gegen rechts auch über die Bundestagswahl hinaus durchziehen zu können, seien weitere Empörungsmomente nötig. Lisa Bogerts vermutet, dass diese mit dem Erstarken der AfD im Bundestag kommen werden.

  • Verwendete Quellen
  • Tagesschau: "Zehntausende fordern 'Brandmauer' gegen AfD"
  • shz.de: "Demos gegen Rechtsextremismus: Hier gehen SH und Hamburg auf die Straße"
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:newstime vom 21. Februar 2025 | 18:00
Episode

:newstime vom 21. Februar 2025 | 18:00

  • 13:03 Min
  • Ab 12
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