Altersarmut
Kritik am Rentenpaket II: Ist eine umfassende Rentenreform nötig?
- Veröffentlicht: 23.10.2024
- 01:01 Uhr
- Oliwia Kowalak
Das Rentensystem droht angesichts der demografischen Entwicklung zu kollabieren. Die Ampel-Koaltion hat dafür die Aktienrente auf den Weg gebracht, um drohender Altersarmut vorzubeugen. Kritiker:innen sehen das Rentenpaket II allerdings als unzureichende Lösung für ein dauerhaft bestehendes Problem.
Das Wichtigste in Kürze
Das Rentenpaket II der Ampel-Regierung soll durch Erträge aus dem Kapitalmarkt das Rentenniveau vorerst stabilisieren.
Kritische Stimmen sehen das ausgearbeitete Konzept allerdings nicht als dauerhafte Lösung - denn die Beiträge werden steigen und Nettoeinkommen fallen.
In der Talkshow "Hart aber Fair" sprach sich Chefin der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, für eine umfassende Reform der Rente aus.
In diesem Jahr plant die Ampel-Koalition, das Rentenpaket im Bundestag zu beschließen. Diese Reform soll dem Problem der steigenden Altersarmut in Deutschland entgegenwirken. Denn: Die Demografie befindet sich im Wandel - und droht das Umlagesystem der Rente zu kippen. "Wenn wir jetzt nichts machen, werden künftige Rentner ärmer im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei einer Bundestagsanhörung in Berlin.
Mit Investitionen in den Kapitalmarkt will die Bundesregierung das Rentenniveau - das Verhältnis von Rente zum durchschnittlichen Einkommen - von 48 Prozent weiter bis zur Rentenanpassung im Juli 2039 halten. Durch diese Investitionen erhofft man sich einen jährlichen Gewinn von zehn Milliarden Euro, die ab 2036 an die Rentenversicherungen ausgezahlt werden soll. Bis dahin soll die Kapitalmarktanlage planmäßig auf 200 Milliarden Euro wachsen. Die Kritik an der Aktienrente der Regierung bleibt jedoch nicht aus.
Im Video: Rentenpaket II - jetzt auch noch Ampel-Krach um die Rente
Anlagen am Kapitalmarkt bergen schließlich auch ein gewisses Risiko - und die Entscheidung müsste demnach ja bei Steuerzahler:innen liegen. Die Talkgäste von "Hart aber Fair" haben am 21. Oktober das neue Modell diskutiert. An diesem Abend sprachen Franziska Brandmann (FDP), Vorsitzende der Jungen Liberalen. Philipp Türmer (SPD), Vorsitzender der Jusos, Sirkka Jendis, Geschäftsführerin Tafel Deutschland, Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur "Finanztip" sowie Georg Kofler, Unternehmer und langjähriger Investor bei "Die Höhle der Löwen" miteinander.
Steigende Altersarmut: "Rente muss unbedingt reformiert werden"
Immer mehr Rentner:innen sind auf Sozialleistungen angewiesen. Im Jahr 2024 bezog fast jede und jeder fünfte Rentner:in in Deutschland weniger als 1.200 Euro Rente mit mindestens 45 Versicherungsjahren, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hervorgeht.
Die Tafeln hierzulande seien am Limit. Jirkka Jendis, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland sagte in der Runde, dass mehr als 30 Prozent aller Tafeln Wartelisten hätten oder temporäre Aufnahmestopps verhängt hätten. Ein Viertel der Menschen, die mit Lebensmitteln versorgt werden müssen, sind Rentner:innen.
Franziska Brandmann (FDP) geht der Vorschlag der Bundesregierung nicht weit genug. Nach Meinung der Vorsitzenden der Jungen Liberalen sollten die Steuerzahler:innen darüber entscheiden können, mit wie viel von ihrem Geld an der Börse spekuliert wird. Der demografische Wandel besorgt Brandmann zunehmend: "Deswegen glaube ich, dass wir die Rente unbedingt reformieren müssen."
Talkgast Philipp Türmer, Vorsitzender der Jungsozialisten, kann der Idee der Kapitalmarktrente als Abhilfe gegen die drohende Altersarmut nur wenig abgewinnen. Er spricht sich dagegen aus, mit dem Geld der Bundesbürger:innen zu zocken und hat einen anderen Vorschlag parat: Gewinne aus Aktien zu nutzen, statt nur das Arbeitseinkommen hinzuzuziehen: "Bei Kapitaleinkommen wird überhaupt nichts abgeführt, um die Rente abzufedern". Die Talkgäste Brandmann und Kofler zeigen sich bescheiden begeistert über den Vorschlag des Juso-Vorsitzenden.
"Finanztipp"-Redakteur Hermann-Josef Tenhagen kann dem Konzept der Regierung auch nur teilweise zustimmen. Die Sorge vor einem Börsencrash bestehe bei Brandmann und Tenhagen allerdings nicht. Für den Unternehmer Kofler seien die Ausgaben für das Rentenpaket der Bundesregierung nicht genügend gegenfinanziert: "Einen Unternehmer, der mir so was gibt, würde ich als Investor noch mal nach Hause zum Nachdenken schicken", lautet das harte Urteil.
Demografische Entwicklung in Deutschland bedroht Rentensystem
Die Anzahl der jungen Menschen in Deutschland sinkt stetig. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden 2023 durchschnittlich 1,35 Kinder je Frau erfasst - im Vergleich zum vorangegangenen Jahr ist dieser Wert wie schon verglichen mit 2022 erneut gesunken - um sieben Prozent.
Die kinderreichsten Jahre verbuchte man in den Jahrgängen der Boomer-Generation. Mit 2,53 Kindern pro Frau war 1964 das geburtenstärkste Jahr der Aufzeichnungen. In den kommenden 13 Jahren werden die Babyboomer mit einem Masseneintritt in die Rente somit weniger Beiträge beisteuern.
Diese Entwicklung soll sich weiterhin verschärfen: Das Institut der Deutsche Wirtschaft (IW) rechnet heute im Durchschnitt 2,1 Beitragszahler auf einen Rentner. 2030 werden es der IW-Prognose zufolge lediglich 1,5 sein, bis 2050 dann nur noch 1,3. Besonders vor dem Hintergrund, dass Menschen immer älter werden, ist die Generation der Rentner:innen zunehmend von Altersarmut bedroht.
Im Video: Arbeitsminister Heil - so will die Regierung schwächelnde Renten verhindern
Rentenpaket der Ampel: Höhere Rentenbeiträge, sinkende Nettoeinkommen
Zuvor schon warnten Expert:innen vor einer umfassenden Reform des Rentensystems angesichts der Prognosen und sprachen sich mitunter für die Erhöhung des Renteneintrittsalters aus. Das Rentenpaket II der Bundesregierung möchte Rentner:innen auch ab 2028 finanzielle Anreize bieten, um sie länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten. "Gleichzeitig setzen wir auf flexible Übergänge in den Ruhestand, etwa durch finanzielle Anreize, freiwillig länger zu arbeiten", so Heil weiter. Er schließt jedoch eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters von 67 Jahre aus.
Die FDP kritisierte das Konzept, da die Beiträge und Steuerzuschüsse stark steigen müssten. "Wir erhöhen einfach die Beiträge für die arbeitende Mitte und für die Jungen immer weiter", monierte Johannes Vogel, Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Derzeit beträgt der Rentenbeitragsatz - die monatliche Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung - 18,6 Prozent. Die Regierung will diesen ab 2035 auf 22,5 Prozent erhöhen.
Ökonom Manfred Werding mahnte zugleich, dass die Reform zu stark zulasten der Jüngeren geht. So würden alle Bundesbürger:innen, die 46 Jahre oder jünger seien, durch die höhere Rentenbeiträge und damit sinkende Nettoeinkommen stärker belastet, so Werding.
- Verwendet Quellen:
- n-tv.de: Juso-Chef Türmer: "Nicht mit Geld von Bürgern zocken"
- Nachrichtenagentur dpa
- Statistisches Bundesamt
- zdf.de: "Warum das Rentenpaket II kritisiert wird"
- tagesschau.de: "2030 wird es heftig"