Aktienanleger im Fokus der Grünen
Sozialabgaben auf Kapitalerträge: Robert Habecks Plan sorgt für Zoff
- Veröffentlicht: 14.01.2025
- 11:58 Uhr
- dpa
Anleger:innen sollen Sozialabgaben auf Kapitaleinkünfte zahlen - so will es der Grünen-Spitzenkandidat. Das soll Arbeitnehmer:innen entlasten. Prompt flammt im Wahlkampf Kritik auf.
Inhalt
- Kapitalgewinne bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt
- Söder kritisiert Grüne, ans "Sparguthaben der Menschen" zu gehen
- Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland
- "Sehr großzügige Freibeträge" sollen für Gerechtigkeit sorgen
- Gerechtere Verteilung der Kosten für die sozialen Sicherungssysteme
- Niedrige und mittlere Einkommen durch Zusatzbeiträge stark belastet
Aktienanleger:innen sollen nach einem Vorstoß von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck für die Sozialversicherung in Deutschland herangezogen werden. Ihre Einkünfte aus Kapitalerträgen sollen somit künftig auch der Finanzierung beispielsweise der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dienen. "Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge?", sagte Habeck. Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen prompte Reaktionen - nicht nur positive.
So warfen die Parteispitzen von CSU und FDP Habeck den Griff in die Taschen der Menschen vor. Auch der Koalitionspartner SPD lehnte den Vorstoß des Grünen-Wirtschaftsministers ab. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger:innen (SdK) warnte vor negativen Auswirkungen für die Mittelschicht. Als Idee für mehr Gerechtigkeit begrüßte hingegen der Sozialverband Deutschland (SoVD) Habecks Äußerung.
Kapitalgewinne bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt
Habeck kündigte an, die Grünen "würden gern die Beitragsgrundlage erhöhen". Er kritisierte, dass Kapitalgewinne bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt seien. Habeck war auf Warnungen von TK-Chef Jens Baas angesprochen worden. Der Chef der Techniker Krankenkasse hatte prophezeit, ohne politisches Eingreifen drohe in diesem Jahrzehnt bei den Kassen ein Beitragsanstieg auf 20 Prozent.
Der Bund der Steuerzahler:innen hat ausgerechnet, dass im Jahr 2024 ein durchschnittlicher Arbeitnehmer:innen-Haushalt in Deutschland 52,6 Prozent seines Einkommens an den Staat gezahlt hat. Von einem Euro an Arbeitseinkommen bleiben demnach 47,4 Cent übrig. 31,7 Cent entfallen auf Sozialabgaben, der Rest auf Steuern und Umlagen.
Söder kritisiert Grüne, ans "Sparguthaben der Menschen" zu gehen
Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte mit einem Gegenvorschlag. "Bevor wir bei GKV Versicherten auch noch die Rücklagen für das Alter mit Beiträgen belasten, sollten wir privat Versicherte an Solidarität beteiligen", schrieb der SPD-Politiker. "Sie zahlen für Familien, Arbeitslose, Geringverdiener, Menschen mit Behinderung nicht mit. Das ist falsch."
Aus der CSU kam deutliche Kritik: "Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran", sagte Parteichef Markus Söder. "Das lehnen wir grundlegend ab." Auf schon einmal versteuertes Geld dürfe nichts mehr erhoben werden.
Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland
FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem "Abkassieren der Mittelschicht in Deutschland". Habeck nehme damit auch eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Kauf, sagte Lindner den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann rechnete vor, dieser "große Habeck-Klau" könne sogar für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten. "Das halte ich für verantwortungslos." SdK-Vorstandschef Daniel Bauer sagte: "Millionäre und Milliardäre würde dies nicht treffen, da die Krankenversicherungsbeiträge eben durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind."
"Sehr großzügige Freibeträge" sollen für Gerechtigkeit sorgen
Grünen-Wahlkampfleiter Andreas Audretsch sagte: "Es ist ungerecht, wenn eine Alleinerziehende in Teilzeit oder ein Polizist mehr zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beiträgt als jemand, der sehr viel Geld im Aktienhandel verdient." Auch für Unternehmen sei es gut, wenn wir die Beitragssätze so gering wie möglich halten, sagte er.
Grünen-Chef Felix Banaszak betonte, es gehe um mehr Gerechtigkeit. "Es geht hier nicht um den Kleinsparer. Für Kleinsparer ändert sich nichts." Dafür sollten "sehr großzügige Freibeträge" sorgen. Zahlen nannte Banaszak nicht.
Anders als bei den Sozialbeiträgen werden in Deutschland Kapitalerträge bei der Festsetzung der Einkommenssteuer bereits berücksichtigt. Sie werden gemäß Kapitalertragsteuer mit 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag versteuert - über einem Freibetrag von 1.000 Euro.
Gerechtere Verteilung der Kosten für die sozialen Sicherungssysteme
Im Fokus des Bundestagswahlkampfs steht bisher vor allem, wie die Wirtschaftsflaute und diverse Belastungen in Deutschland eingedämmt werden könnten. So hatte AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich gesagt, der "normale deutsche Arbeitnehmer" arbeite mindestens zur Hälfte für den Staat. Tatsächlich wird seit Jahren kontrovers debattiert, wie die Milliardenkosten, die für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland anfallen, auf Beschäftigte und Arbeitgeber:innen verteilt werden sollen.
Forscher:innen haben festgestellt, dass in Staaten mit höheren Sozialausgaben eine geringe Kluft zwischen dem reichen Bevölkerungsanteil und Menschen mit durchschnittlichem Vermögen besteht. Der aktuelle Verteilungsreport 2024 des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt den Zusammenhang: Der Vermögensanteil der in Bezug auf das Einkommen unteren Hälfte der Bevölkerung ist demnach in den Staaten deutlich höher, in denen auch die "Sozialschutzausgaben pro Einwohner" höher liegen.
Niedrige und mittlere Einkommen durch Zusatzbeiträge stark belastet
In Deutschland hatten die meisten der 94 gesetzlichen Krankenkassen zu Jahresbeginn ihren Zusatzbeitrag kräftig auf im Schnitt 2,91 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens angehoben. Dieser kommt auf den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns obendrauf. Vor diesem Hintergrund gab die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier Habeck Rückendeckung.
Für die Finanzierung der Krankenkassen müssten auch andere Einkünfte als heute einbezogen werden, sagte Engelmeier. "Aber: Dabei muss darauf geachtet werden, dass etwa Einkünfte aus kleinen Sparguthaben beitragsfrei bleiben." Insbesondere die zuletzt immer stärker gestiegenen Zusatzbeiträge belasteten niedrige und mittlere Einkommen stark, sagte Engelmeier. Kassenbeiträge auf Kapitalgewinne wären dagegen solidarisch.
Verhalten zeigten sich die Krankenkassen. "Die Frage, welche Einkunftsarten für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung versichert und versorgt, herangezogen werden, erfordert eine gesellschaftspolitische Antwort", sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes.