"Europa ab sofort allein"
Wegen "Trumpismus": Grünen-Ikone Joschka Fischer fordert Rückkehr zur Wehrpflicht
- Veröffentlicht: 04.03.2025
- 14:51 Uhr
- Claudia Scheele
Deutschland und der EU stehen harte Jahre bevor, prophezeit der ehemalige Außenminister Joschka Fischer in einem Interview. Auch die Wehrpflicht nimmt er ins Visier.
Der frühere Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) spricht im Interview mit dem "Stern" über die deutsche Außenpolitik und die Welt allgemein. Mit Blick auf die USA sagt er: "Europa ist ab sofort allein." Somit sei eine bessere Sicherheitspolitik ausschlaggebend für die europäische und deutsche Zukunft, genauso wie ein europäischer Atomschirm.
Fischer war immer ein Befürworter der Abschaffung der Wehrpflicht, doch nun gibt er zu: "Das war ein Fehler, den wir revidieren müssen. Die Wehrpflicht muss wieder eingeführt werden. Für beide Geschlechter. Ohne diesen Schritt werden wir beim Schutz Europas nicht vorankommen." Zudem spricht er sich für eine Beteiligung Deutschlands an einer Friedenstruppe in der Ukraine aus. Dabei betont er die Wichtigkeit einer europäischen Einheit, denn "wenn Europa gefragt ist, sind auch wir gefragt."
Fischer: US-Beziehungen können "Trumpismus" überleben
Der Eklat beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Freitag bei US-Präsident Donald Trump, sei ein Zeichen für den ersten "Schritt in die Richtung des Rückzugs der USA", sagt Fischer im Interview. "Es gibt keinen Platz mehr für Illusionen. Europa ist ab sofort allein!" Dennoch solle Europa die transatlantischen Beziehungen noch nicht aufgeben, damit die Beziehungen zur USA den "Trumpismus" überleben können. Denn ohne die USA hätte es Europa nicht einfach.
In Bezug auf Deutschlands und Europas Fähigkeit, sich gegen mögliche Angreifer zu wehren, spricht sich der ehemalige Außenminister klar für eine Erhöhung des Wehretats aus. "Wir brauchen so viel, dass unsere Abschreckung glaubwürdig ist", sagte Fischer. "Der heutige Status Quo von zwei Prozent reicht nicht aus." Zudem sollte die EU mit "Frankreich und Großbritannien als Nuklearmächten jetzt Verhandlungen beginnen, wie ihr Schutzschirm ausgedehnt werden könnte. Diese Option muss Europa haben," betont der Grünen-Politiker. Nur damit könne sich die EU vor der nuklearen Erpressung Moskaus schützen.
Mit seiner Wehrpflicht-Forderung ist er nicht allein
Mit seiner Forderung nach einer Wehrpflichtreform steht Fischer nicht alleine da. Der CSU-Politiker Florian Hahn fordert wegen der veränderten Bedrohungslage die Wiedereinführung einer Wehrpflicht noch in diesem Jahr. "Die Aussetzung der Wehrpflicht passt nicht mehr zur aktuellen Gefährdungslage. Noch im Jahr 2025 müssen die ersten Wehrpflichtigen durch die Kasernentore schreiten", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der "Bild"-Zeitung.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte den Start einer Wehrpflicht nach schwedischem Modell mit verpflichtender Erfassung noch in diesem Jahr. "Ohne eine Art neue Wehrpflicht werden wir die Gewinnung und Bindung des Personals, das wir brauchen, nicht schaffen", sagte er im Sender Welt-TV.
Neue Regierung muss an Wehrpflicht arbeiten
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte einen Gesetzentwurf für ein neues Wehrdienstmodell vorgelegt. Verpflichtend wäre gewesen, dass junge Männer Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst hätten geben müssen. Für einen größeren Pflichtanteil gab es aus der Koalition von SPD, Grünen und FDP keine Unterstützung.
Die Zahl der Soldaten ist den vergangenen Jahren immer weiter gesunken. Trotzdem sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Mai 2024 vom Personalmangel der Bundeswehr als "überschaubare" Aufgabe.
Auf die neue Bundesregierung und Friedrich Merz (CDU) kommt nun zu, über eine neue Wehrpflicht in Friedenszeiten zu entscheiden. Für Konfliktzeiten ist im Wehrpflichtgesetz ohnehin festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa