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Dutzende tote Palästinenser

Vier Menschen aus Hamas-Gefangenschaft befreit: Tötete Israel dabei selbst weitere Geiseln?

  • Veröffentlicht: 08.06.2024
  • 21:20 Uhr
  • Michael Reimers

Israel soll nach Darstellung der Hamas bei der Befreiung von vier Gefangenen im Gazastreifen andere Geiseln getötet haben. Tel Aviv konterte, die Hamas setze psychologischen Terror ein, um ihre Ziele zu erreichen.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Israelische Spezialeinheiten haben am 8. Juni im Zentrum des Gazastreifens Armeeangaben zufolge vier Geiseln gerettet.

  • Befreit wurden eine Frau und drei Männer.

  • Auf palästinensischer Seite sollen bei dem Einsatz 210 Menschen ums Leben gekommen sein, nach Hamas-Angaben auch andere Geiseln.

Nach Darstellung der islamistischen Hamas sollen am Samstag (8. Juni) bei der Rettung von vier aus Israel entführten Menschen auch einige Geiseln getötet worden sein. Das sagte Hamas-Sprecher Abu Obeida im Telegram-Kanal der Al-Kassam-Brigaden. Die Angaben der Terrororganisation ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Israels Armee teilte dazu auf Anfrage mit, die Hamas setze psychologischen Terror ein, um ihre Ziele zu erreichen. "Dementsprechend sollten ihre Aussagen mit begrenzter Verbindlichkeit betrachtet werden."

Bereits in der Vergangenheit hatte die Hamas nach israelischen Militäreinsätzen von angeblich getöteten Geiseln gesprochen. Israelische Spezialeinheiten hatten am Samstag Armeeangaben zufolge vier Geiseln aus zwei Wohngebäuden im Zentrum des Küstengebiets befreit. Sie wurden dort demnach von der Hamas festgehalten. Die am 7. Oktober vom Nova-Musikfestival Entführten seien am Samstag bei zwei Einsätzen im Flüchtlingsviertel Nuseirat befreit worden, teilte das Militär mit. Es handelt sich demnach um eine 25 Jahre alte Frau und drei Männer im Alter von 21, 27 und 40 Jahren.

Geiseln wurden in geschlossenen Räumen festgehalten

Die Hamas hat die am Samstag aus dem Gazastreifen geretteten Geiseln Armeeangaben zufolge in mehrstöckigen zivilen Wohngebäuden im Zentrum des Küstengebiets festgehalten. Die drei befreiten Männer seien in einer Wohnung, eine junge Frau rund 200 Meter entfernt in einer weiteren gewesen, teilte Militärsprecher Daniel Hagari am Samstag mit. Sie seien in verschlossenen Räumen festgehalten und von etlichen Menschen bewacht worden.

Die Befreiungsaktionen in beiden Gebäuden seien am Vormittag zeitgleich erfolgt, um eine Vorwarnung vor einem Armeeeinsatz und damit die Tötung der Geiseln im jeweils anderen Gebäude zu verhindern. In der Wohnung, in der sich die Frau befand, seien die Wächter vollkommen überrascht gewesen. In der anderen Wohnung sei es zu einem heftigen Feuergefecht gekommen, in dessen Zuge ein hochrangiger Polizeibeamter schwer verletzt worden und später im Krankenhaus ums Leben gekommen sei.

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Per Helikopter nach Israel ausgeflogen

Hunderte Einsatzkräfte seien zugleich in der Umgebung stationiert gewesen, um den Spezialeinheiten Deckung zu geben. Die Geiseln seien, geschützt von den Einsatzkräften, heraus und zunächst in Autos gebracht worden. "Wir geben ihnen menschliche Schutzschilde, damit sie nicht ins Kreuzfeuer geraten", so Hagari. Schließlich seien die vier per Helikopter nach Israel in eine Klinik geflogen worden.

Israelische Medien zitierten einen Angehörigen der befreiten Frau mit den Worten, das Militär habe am Samstagvormittag an die Tür geklopft und gerufen, dass sie gekommen seien, um sie zu retten.

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Widersprüchliche Angaben zu palästinensischen Opern

Mutmaßlich im Zusammenhang mit der israelischen Befreiungsaktion wurden nach Angaben einer Behörde der islamistischen Hamas 210 Palästinenser:innen getötet. In Nuseirat im Zentrum des Küstengebiets seien zudem rund 400 Menschen verletzt worden. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde sowie medizinische Kreise im Gazastreifen hatten zuvor von 55 Toten gesprochen. Israels Armeesprecher Daniel Hagari wiederum sprach am Abend von weniger als 100 Todesopfern. "Ich weiß nicht, wie viele davon Terroristen sind", sagte er.

Das Medienbüro der Hamas sprach von "einem beispiellosen, brutalen Angriff auf das Flüchtlingslager Nuseirat". Das Al-Aksa-Krankenhaus befinde sich in einer katastrophalen Lage. Berichten zufolge gab es heftige Luftangriffe und Artilleriebeschuss in der Gegend. Auf Aufnahmen, die Szenen aus dem behandelnden Krankenhaus zeigen sollen, sind blutüberströmte Opfer, Tote und verletzte Kinder zu sehen. Berichten zufolge soll in der Al-Aksa-Klinik in Deir al-Balah völliges Chaos ausgebrochen sein.

Der Auslandschef der Hamas, Ismail Hanija, bezeichnete Israels jüngste Einsätze in Gaza als "Massaker" an den Palästinensern. "Der Feind setzt sein Massaker gegen unser Volk, unsere Kinder und Frauen, in Nuseirat und Deir al-Balah fort", teilte Hanija mit. Israel habe "militärisch, politisch und moralisch versagt". Es blieb unklar, ob er sich direkt auf die Nachricht über die Befreiung der Geiseln aus Gewalt der Hamas bezog.

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Israel: Zivilisten als Schutzschilde missbraucht

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erklärte auf der Plattform X, nach den jüngsten "intensiven Bombardements" im Zentrum des Gazastreifens sähen sich die Helfer in den Krankenhäusern Al-Aksa und Nasser mit einer "überwältigenden Zahl schwerverletzter Patienten, darunter viele Frauen und Kinder" konfrontiert.

Bei der Befreiungsaktion hätten Extremisten Zivilisten als Schutzschilde missbraucht, sagte Armeesprecher Hagari. In den beiden Wohngebäuden, aus denen die vier Geiseln befreit worden seien, hätten Familien und bewaffnete Wächter die Geiseln festgehalten. Die Einsatzkräfte seien heftigem Beschuss ausgesetzt gewesen, sagte der Sprecher weiter. Palästinenser seien mit Panzerfäusten auf die Straßen gelaufen, um die Soldaten anzugreifen. Die israelischen Einsatzkräfte feuerten Hagari zufolge aus der Nähe und aus der Luft zurück. Die Angaben des Militärs ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

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Benny Gantz verschiebt Ansprache mit erwartetem Rücktritt

Israelischen Polizeiangaben zufolge wurde bei dem Einsatz auch ein hochrangiger Beamter getötet. Der Einsatz zur Befreiung der Entführten wurde Armeeangaben zufolge ihm zu Ehren in "Operation Arnon" umbenannt. Arnon war der Vorname des Getöteten. Nach Angaben Hagaris wurden die Befreiten medizinisch untersucht und im Krankenhaus mit ihren Familien wieder vereint. Medien zeigten bereits das glückliche Wiedersehen der 25 Jahre alten Frau mit ihren Angehörigen.

Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, teilte nach der Rettung der Geiseln Medien zufolge mit, sein "Herz sei erfüllt". Zugleich sagte er eine ursprünglich für den Abend geplante Ansprache ab. Es war erwartet worden, dass er dabei aufgrund von Meinungsunterschieden mit dem Kurs von Regierungschef Benjamin Netanjahu im Gaza-Krieg den Austritt seiner Partei aus der Regierung bekannt geben würde.

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Biden, Macron und Scholz begrüßen Geisel-Befreiung

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Befreiung als "wichtiges Zeichen der Hoffnung". Dies gelte "besonders für die vielen Familien in Israel, die nach wie vor um ihre Angehörigen bangen", schrieb Scholz am Samstag auf der Plattform X. "Vier Geiseln sind nun in Freiheit. Die Hamas muss endlich alle Geiseln freilassen. Der Krieg muss enden." Auch US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron begrüßten die Befreiung der Geiseln.

Bei dem beispiellosen Massaker am 7. Oktober ermordeten Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen mehr als 1.200 Menschen. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive.

Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 36.801 Menschen getötet und weitere 83.680 verletzt. Diese Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilist:innen unterscheiden, lassen sich derzeit nicht unabhängig verifizieren. Israels Armee steht wegen ihres Vorgehens im Gazastreifen und der hohen Zahl ziviler Opfer international stark in der Kritik.

Noch 120 Geiseln im Hamas-Gefangenschaft

Israels Armee befreite Ende Oktober vergangenen Jahres bereits eine Soldatin aus dem Gazastreifen, im Februar zwei Männer. Eine andere Geisel wurde laut Militärangaben im Dezember bei einem gescheiterten Befreiungsversuch getötet. Bei einem anderen Vorfall erschossen israelische Soldaten im Dezember versehentlich drei aus Israel entführte Männer.

Militärsprecher Hagari zufolge befinden sich noch 120 Geiseln der insgesamt mehr als 250 aus Israel verschleppten Menschen im Gazastreifen. Es wird befürchtet, dass ein Großteil von ihnen nicht mehr am Leben ist.

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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